Dienstag, 11. Juni 2013

Verrannt in Ideologien

Als Apple-Chefdesigner Jony Ive vor einigen Monaten in einem Interview seine Abscheu gegenüber skeuomorphem Design bekanntgab und einen entsprechenden Strategiewechsel ankündigte, ahnte ich bereits, was mit zukünftigen Produktgenerationen auf Apple-Kunden zukommen würde. Manchmal ist es gar nicht so schwer, vage die Zukunft vorauszusehen.
Mit Skeuomorphismus bezeichnet man den Umstand, daß Produkte etwas vorgeben, was sie nicht sind. Ein Schrank beispielsweise kann aussehen, wie aus Holz gefertigt, obwohl er tatsächlich aus Plastik besteht, beklebt mit einer Dekorfolie, auf welche eine wie Holz aussehenden Oberfläche aufgedruckt ist. Auch glänzender, wie Aluminium aussehender Kunststoff ist ein bei vielen Produkten häufig anzutreffendes Beispiel. Der Elektronikhersteller Bang & Olufsen ist ein energischer Verfechter gegen den Skeuomorphismus – was aussieht wie Aluminium, muß auch aus Aluminium hergestellt sein.



Auch Apple hat diese Philosophie bei der Produktgestaltung stets umgesetzt. Die Computergehäuse der letzten Generationen waren aus echtem Aluminium gefertigt, was die Produkte hochwertig, robust und wertstabil machte. Jony Ive setzte sich nun auch für die Weiterentwicklung dieser Philosophie im Softwarebereich ein. Die Nachahmung von plastisch anmutenden Tasten oder Symbole mit Schatten beim iPhone-Betriebssystem sowie die Lederimitation samt pseudo-abgerissener Blätter beim Kalenderprogramm von Mac OS waren Ive ein Dorn im Auge. Und so sah ich am Horizont bereits ein glattgeschliffenes, eindimensionales Betriebssystem hervordämmern.
Gestern nun wurden auf der Entwicklerkonferenz WWDC die neuen Produkte vorgestellt, und natürlich kam es, wie es kommen mußte, wenn Designer sich in Ideologien verrennen: Das Design des neuen iPhone-Betriebssystems iOS 7 wirkt flach, eindimensional und unübersichtlich. Wo früher (simulierte) Tasten einen eindeutigen Hinweis darauf gaben, wo man hintippen muß und was nur zum Lesen gedacht ist, herrscht nun das Chaos von zusammen in einen Topf geworfenen Bedienelementen in Form von Textlinks sowie Überschriften und Textelementen, alles nur schwer voneinander zu unterscheiden. Nur wer sich bereits mit iPhones auskennt, wird intuitiv wissen, wohin er tippen muß, um die gewünschte Funktion auszulösen.
Worin genau besteht nun eigentlich Ives Irrtum? Daß ein Holzgehäuse auch wirklich aus Holz erschaffen sein sollte, darüber kann man geteilter Meinung sein. Ein Produkt mit Kunststoffgehäuse und holzbedruckter Oberfläche ist möglicherweise preiswerter zu produzieren. Und mir persönlich ist ein federleichter, preiswerter Fön mit chromglänzendem Kunststoffgehäuse wahrscheinlich lieber, als fünfmal so teuer und dreimal so schwer, dafür aber aus echtem Aluminium. Doch nachvollziehen kann ich diesen designideologischen Ansatz durchaus und begrüße ihn da, wo es sinnvoll ist. Völliger Unsinn ist der Verzicht auf skeuomorphe Elemente hingegen bei der Gestaltung der Softwareoberfläche, und zwar aus einem ganz simplen Grund: Es ist völlig egal, was der Bildschirm anzeigt … Aluminiumdesign, Holzoberfläche, Lederimitat oder einfach nur weißer Text auf grauem Hintergrund – alles, was ein Display anzeigt, ist eine Simulation! Jedes Element, ob nun dreidimensionale Taste, Mauszeiger, Textlink, buntes Hintergrundfoto, all das wird zusammengesetzt aus roten, grünen und blauen Pixeln. Es ist also gar nicht möglich, hier etwas aus echten Materialien darzustellen. Somit treten bei der Gestaltung der Softwareoberfläche gänzlich andere, wichtigere Parameter in den Vordergrund, wie Benutzerfreundlichkeit, Übersichtlichkeit und Funktionalität. Mir persönlich gefällt zum Beispiel die aluminiumfarbene Oberfläche von Mac OS, sie paßt nämlich perfekt zum Alugehäuse von iMac und Macbook Pro. Aber die Geschäftigkeit in einschlägigen Internetforen zeigt, daß es in diesem Punkt durchaus Verbesserungsbedarf gibt. Warum kann der Benutzer nicht zwischen zehn oder zwanzig verschiedenen Designs wählen? Warum kann er sich nicht sein eigenes Design erstellen? Warum merkt sich der Finder nicht die Darstellung der einzelnen Ordner? Ein Foto-Ordner nützt mir in der Listenansicht recht wenig, ein Ordner mit Textdokumenten ist in der Coverflow-Ansicht möglicherweise unpraktisch. Warum kann ich im Jahr 2013 noch immer nicht die dämlichen Systemsounds verändern? Bei Windows ist das seit 1995 möglich! Warum findet Spotlight viele Dokumente nicht, zeigt mir stattdessen aber Unmengen von Daten, die augenscheinlich nichts mit dem Suchbegriff zu tun haben? Warum gibt es bei iTunes kein Coverflow mehr? Selbst der Medienplayer in meinem Golf 7 hat mittlerweile Coverflow! Warum wird die zufallsgesteuerte Musikwiedergabe (iTunes DJ) nicht mehr ständig als Wiedergabeliste angezeigt sondern nur mit einer zusätzlichen Aktion?



Es gäbe viele Baustellen, an denen Apple etwas verbessern könnte. Anstatt das bisher recht gute Design der Software durch zweifelhafte Ideologieansätze zu verschlimmbessern wäre Vorsicht angebracht, denn die Konkurrenz ist mittlerweile aufgewacht. Auch wenn viele Bestandteile, wie das Navigieren durch Listen mit einem Fingerstrich, bei Apple geklaut sind.

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