Donnerstag, 19. Januar 2012

Klangharmonie mit tausend Katzenaugen

Ende der Achziger, als ich gerade mitten in meiner Lehre zum Einzelhandelskaufmann für Unterhaltungselektronik steckte, damals in der DDR hieß das „Fachverkäufer für Rundfunk, Fernsehen und Elektroakustik“ und war ein angesehener Beruf, besonders, weil man als Verkäufer an alles rankam, also nicht unbedingt an die Mädels, sondern an alles, was es im Handel gab, aber nicht gab. Also über dem Ladentisch. Nur darunter.
Da fällt mir gerade ein, ich habe mal versucht, ein Buch von Günter Grass zu lesen, ich weiß nicht mal mehr den Titel, so wenig hat mich der Schinken beeindruckt. Jedenfalls habe ich nach etwa fünf Seiten das Buch wieder weggelegt, weil die Sätze so lang und unübersichtlich waren, daß man am Ende gar nicht mehr wußte, wie sie überhaupt angefangen haben. Das nur mal zum Nachdenken an alle, die meinen, der Satz mit dem Verkäufer, den Mädels, dem Handel und allem, was es über und unter dem Ladentisch gab, sei kompliziert.
Auf jeden Fall war das damals die Blütezeit des High Fidelity, nie zuvor und niemals wieder danach hatten die Ingenieure soviel Ehrgeiz, Wissen und Können in die Entwicklung der Musiktechnik für den Heimanwender gesteckt, soviel Aufwand bei der Optimierung des Klanges betrieben. Es gab vollautomatische, computergesteuerte Plattenspieler, die vollgepackt mit Sensoren den Höhenschlag einer Schallplatte vorausberechnen und die Bewegung des Tonarms mit jener der Platte synchronisieren konnten. Und es gab Kassettendecks, deren Laufwerke im Inneren komplizierter waren, als mechanische Uhren, wobei diese damals sowieso gerade nicht so angesagt waren, denn wer etwas auf sich hielt, trug eine Digitaluhr.
Der offizielle volkseigene Betrieb RFT ging bei der Entwicklung von DDR-Audiotechnik gänzlich andere Wege. Während die Designer des nichtsozialistischen Wirtschaftsbereichs es aus unerfindlichen Gründen für angebracht hielten, Güter für den Privathaushalt möglichst attraktiv zu gestalten, um im unüberschaubaren Angebot positiv aufzufallen, erteilte Walter Ulbricht dem Formalismus eine Absage, was letzten Endes dazu führte, daß es in der DDR kaum attraktiv gestaltete Produkte zu kaufen gab. Deswegen standen Oliver und ich auch in der Mittagspause häufig im Intershop herum und drückten uns an den Glasscheiben, hinter denen teuflische Hifi-Machwerke des imperialistischen, besonders des fernöstlich-imperialistischen Klassenfeindes verführerisch mit LEDs und Fluoreszenzanzeigen blinkten, die Nasen platt.
Jener Oliver hatte unanständigerweise einen Westonkel, der in einem Anfall von Großmut drei Kataloge bekannter westlicher Elektronikhersteller in einen Umschlag packte und für wertvolles Westgeld in den Osten schickte, um uns mal so richtig zu zeigen, wo der Hammer hängt. Mehr oder weniger interessiert, blättere ich nach der Schule in Olis Zimmer die beiden Kataloge von Pioneer und Technics durch, um als letztes den Katalog der Firma in die Hand zu nehmen, von der ich bis dato noch nie etwas gehört hatte.
Es war Liebe auf den ersten Blick. So wie damals mit Annette, die ich als etwa 12-Jähriger in dem kleinen Fischerdorf Freest traf. Oder Silvia mit den blonden Haaren und den grünen Katzenaugen, die ich im „Treffpunkt Buchholz“ in der Disco kennenlernte und eigentlich hätte heiraten sollen.
Die Hifianlage im Katalog der japanischen Edelschmiede Onkyo (zu Deutsch „Klangharmonie“) leuchtete und funkelte mit tausend grünen Katzenaugen, ein unfaßbarer Anblick für jemanden, der das Siebziger-Jahre-Design von DDR-Stereoanlagen gewohnt ist und unvorbereitet einen solchen Katalog in die Hand bekommt.

Foto: Onkyo

Somit war mein Schicksal besiegelt. Gleich nach der Währungsunion brachte ich mein erstes, sauer getauschtes Westgeld in den erstbesten Hifi-Laden in Westberlin und erfüllte mir meinen ersten großen Traum. Er steht noch heute in meinem Wohnzimmer, schwächelt hier und da ein wenig, das Kassendeck leiert gelegentlich, was aber nicht schlimm ist, weil Kassetten sowieso nicht mehr ganz zeitgemäß sind, auch wenn ich diese Technik abgöttisch geliebt habe. Allein schon der Tuner ist ein Traum: Mit über 40 Tasten und rund 30 Lämpchen gehört er technisch auch zwanzig Jahre nach seiner Herstellung noch zum Besten, was in der Radiotechnik je erdacht wurde. In letzter Zeit litt er vermehrt an sporadischer Vergeßlichkeit, er konnte sich einfach die Stationen nicht mehr merken, was angesichts des katastrophalen Radioprogrammes auch kein großes Problem ist, aber trotzdem wollte ich ihn nicht in diesem traurigen Zustand belassen. Ich besorgte mir eine Anleitung und einen neuen Goldcap-Kondensator für 1,78 Euro. Nach einer guten Stunde basteln, schrauben und löten – Achtung, jetzt kommen wir endlich zum Kern dieses ganzen Geschreibsels hier – hat der Tuner nun wieder ein perfekt funktionierendes Gedächtnis. Ich bin stolz auf mich! Besonders, weil es soetwas Schönes heute gar nicht mehr gibt. Nicht einmal von Onkyo.
Hoffen wir, daß es das Analogradio noch ein paar Jahre gibt, damit ich mich noch eine Weile an den vielen grünen Katzenaugen erfreuen kann.


Dieser Beitrag wurde nicht gesponsort von Onkyo. Aber das ist okay, Jungs! Während meiner aktiven Zeit im Handel habe ich ja jede Menge Zeugs von Euch verkauft und dafür von Peter P. und Alex K. schon mal die eine oder andere Aufmerksamkeit bekommen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen